Der allmählige Zerfall der OpW-Classic, Teil V!

      Der allmählige Zerfall der OpW-Classic, Teil V!

      "Manche Begräbnisse unterscheiden sich von manchen Hochzeiten nur dadurch, dass es einen Betrunkenen weniger gibt."
      Markus M. Ronner

      ... quälend lange Stunden nur Asphalt und Staub. Asphalt und Staub. Man könnte meinen, die Welt bestünde aus nichts anderem mehr. Mit der Stirn an die leicht kühlende Scheibe der Autotür gelehnt, starrt einer der Beifahrer gedankenverloren auf die Straße. Die Fahrbahnmarkierungen fliegen vorbei... er muss die Augen schließen, so als könnte er dadurch seine Gedanken einfangen und festhalten. Der heutige Tag hatte einiges durcheinander gebracht...


      Alles beginnt damit, dass sie an einem alten Spielkasino halten. Vor vielen Jahren waren sie oft hier und immer wieder erstaunt, wo all die Menschen herkamen, die das Kasino mit einem geschäftigen Treiben und nahezu ohrenbetäubenden Lärm erfüllten. Hier konnte man Stunden zu Minuten machen und Glück und Pech lagen hier so dicht beieinander, dass man jedesmal ein wahres Gefühlkarussell durchlebte. Der Betreiber des Spielkasinos verdiente sich eine goldene Nase und die Besucherströme schienen sich in alle Ewigkeiten fortzusetzen.
      Doch die Zeiten änderten sich anscheindend, denn als die Vier aus dem schwarzen Transporter steigen, fällt ihnen sofort die schäbige Fassade des Kasinos auf. Einst rühmte man sich für die architektonische Schönheit und den Glanz dieses Gebäudes, doch der einzig verbliebene Glanz ist nunmehr das nervöse Flackern der Leuchtreklame. "Spielh..." steht da und ist der letzte Rest des einstigen Namens, der landesweit für Spaß und Ablenkung stand: "Spielhölle". Die Vier betreten das Kasino durch eine kleine Stahltür, denn der Haupteingang ist mit Brettern vernagelt. Eine Wand aus Zigarettenqualm schlägt ihnen entgegen und ihre Augen müssen sich erst einmal an das fahle Licht des Raumes gewöhnen. Hinter einer kleinen Bar steht ein kahlköpfiger Berg von Mann, bekleidet mit einem verschwitzten und speckigen Unterhemd, einer verblassten Uniformhose und abgetragenen Westernstiefeln..., im Mundwinkel eine Zigarette. Ein paar weitere, kümmerliche Gestalten sitzen ruhig und rauchend auf den klapprigen Barhockern, im Hintergrund spielen zwei Männer scheinbar gelangweilt Billard. Die Vier treten an den Barkeeper heran und einer von ihnen fragt vorsichtig: "Ist das hier das Kasino 'Spielhölle', dass vor ein paar Jahren noch täglich mehrere hundert Besucher hatte?" Der Angesprochene brummt etwas unverständliches und stellt vier Gläser auf den Tresen. Da diese Gabe anscheinend ihnen gilt, trinken sie und haben Mühe, die ölig warme Flüssigkeit herunter zu schlucken. "Mitkommen", brummt der Spender dieser zweifelhaften Köstlickeit und verlässt seinen Platz hinter der Bar. Er durchquert den Raum, an den beiden Billardspielern vorbei und öffnet eine unscheinbare Tür im hintersten Winkel. Die Vier sind ihm mit respektvollen Abstand gefolgt, wahrscheinlich, um dessen unmenschlichen Gestank zu entgehen. Nun aber treten sie näher heran, um durch die Tür ins Innere des geöffneten Raumes zu sehen. "Raum" trifft es allerdings weniger, denn vor ihren Augen lag eine riesige Spielhalle mit allen nur erdenklichen Glücksspielautomaten, Roulette- und PokerTischen, verstaubt zwar, aber augenscheinlich noch in brauchbarer Verfassung.
      Das ist die Spielhölle, die sie vor Jahren regelmäßig besucht hatten, doch im Vergleich zu früher, war es in der Halle heute menschenleer und totenstill. "Wo sind die ganzen Leute?", platzt es aus einem der vier Männer heraus. Der Barkeeper gibt einen tiefen Seufzer von sich, setzt an zu reden, stockt, holt noch einmal tief Luft und beginnt zu sprechen:
      "Auf den Tag vor drei Jahren gab es einige Probleme mit der Software. Die Automaten sponnen herum und zahlten keine Gewinne mehr aus. Die Leute waren natürlich stocksauer und beschwerten sich, aber der Betreiber blockte ihre Beschwerden ab und blieb stur. Aus Wut schlugen zwei Besucher einen Angestellten des Kasinos zusammen. Dem Inhaber war auch das egal, denn er unternahm nichts. Kurz darauf kündigte die gesamte Belegschaft. Selbstverständlich blieben von da an auch die Gäste aus, oder standen vor verschlossenen Türen."
      "Wo ist der Betreiber heute?", fragt einer der Vier.
      "Hat sich abgesetzt, nach Russlang glaub ich. Er hatte dort mit seinen Gewinnen weitere Kasinos eröffnet, die scheinbar noch lukrativer waren und mehr Kohle als dieses hier abwarfen. Keine Ahnung, hab ihn seitdem nie wieder gesehen. Auf jeden Fall zerfällt der Laden hier allmählig. Ab und zu kommen noch ein paar Leute, immer dieselben, und spielen an den Automaten. Aber die Softwarefehler sind immernoch nicht behoben... doch das die Dinger spinnen und keine Gewinne mehr auszahlen, scheint die Leute nicht zu stören. Komische Typen, wenn ihr mich fragt. Merken wohl nicht, dass das hier eine Halde voller Elektro- und Softwareschrott ist. Hier gibts nichts mehr zu holen, die goldenen Zeiten sind vorbei."
      "Leider!", setzt er nach einer kurzen Pause etwas leiser hinzu. Plötzlich scheint er in Gedanken versunken zu sein.
      Selbst noch, als sich die Vier von ihm verabschieden, scheint der Barkeeper in seinem schmierigen Hemd, seiner verblassten Militärhose und seinen abgewetzten Stiefeln, etwas neben sich zu stehen. Doch auch die vier Männer steigen stumm in ihren schwarzen Transporter und blicken gedankenverloren vor sich hin. Wieder bricht ein Stück Vergangenheit unter ihren Füßen weg...


      ...Ödnis, soweit das Auge reicht. Der graue Asphaltwurm schlängelt sich durch die endlos weite Ebene. Eine Ebene nur aus Staub und Asphalt. "Früher kam mir die Fahrt bedeutend kürzer vor!", bemerkt einer der Beifahrer. "Früher waren wir auf dieser Strecke auch nicht allein und wir wussten, dass es auf halbem Wege eine Stätte der Kurzweil und des Zeitvertreibs gab. Eine Oase der Ablenkung sozusagen.", antwortet der Mann hinterm Steuer. "Ja, die goldenen Zeiten sind vorbei... leider.", fügt er noch hinzu, bevor sich alle wieder in tiefes Schweigen hüllen.